Langemarckstrasse

Langemarck-Straßen in Deutschland

In mehr als dreißig deutschen Städten gibt es Straßen oder Plätze, die den Namen „Langemarck“ tragen, vor allem in den westlichen Regionen des Landes. Woher stammt dieser Name, und wann und warum wurden Straßen nach „Langemarck“ benannt?

Das Erbe des Ersten Weltkrieges

Langemark oder Langemarck (wie es das deutsche Militär buchstabierte) ist ein Dorf, das acht Kilometer nordöstlich der mittelalterlichen Stadt Ypern/Ieper in Westflandern (Belgien) liegt. Im Ersten Weltkrieg war die Gegend um Ypern in fünf großen Schlachten zwischen 1914 und 1918 hart umkämpft. In der Schlacht von Langemarck (der Ersten Ypern-Schlacht) im Herbst 1914 kam der deutsche Vormarsch nach Westen zum Erliegen. Aus dieser Schlacht ging der wohl wirkungsmächtigste Mythos des Ersten Weltkrieges hervor: der Langemarck-Mythos vom Selbstopfer der deutschen Jugend. In Langemarck, so hieß es, seien junge Freiwilligen-Regimenter in den Tod gestürmt und hätten während des Angriffs „Deutschland über alles“ gesungen. An dieser Erzählung war jedoch nichts dran. Bereits die offizielle deutsche Geschichtsschreibung hatte den Langemarck-Mythos als Unsinn abgetan. Allerdings waren alle Versuche, den Mythos zu entkräften, letztlich ins Leere gelaufen.

Mythenbildung

Langemarck wurde zu einer Geschichte des heldenhaften Scheiterns hochstilisiert – eines Scheiterns jenseits herkömmlicher Vorstellungen von Sieg und Niederlage. Der militärische Rückschlag wurde zu einem moralischen Sieg umgedeutet. Es war ein nützlicher Mythos für eine besiegte Nation. Bereits in den letzten Jahren des Kaiserreichs entwickelte sich Langemarck zu einem mächtigen Symbol. In der Weimarer Republik wurde die Geschichte von Langemarck wiederbelebt und weiter ausgeschmückt. Insbesondere in nationalistischen Kreisen wurde der 11. November – der Langemarck-Tag – zu einem festen Bestandteil des Festkalenders und zu einem Gegenpol sowohl zum Waffenstillstandstag (11. November, der in Großbritannien und Frankreich begangen wurde) als auch zum Gründungstag der Weimarer Republik (9. November).

Doch erst im Dritten Reich wurde Langemarck zum staatlich geförderten Mythos erhoben. Hitler inszenierte sich als Veteran von Langemarck. Er beschwor den Mythos in Mein Kampf, eröffnete während der Olympiade in Berlin 1936 die monumentale Langemarck-Halle und besuchte im Juni 1940 den Soldatenfriedhof des Ersten Weltkrieges. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Erbe von Langemarck durch die Aktionen der SS-Sturmbrigade „Langemarck“ und der SS-Grenadier-Division „Langemarck“ in den rassistischen Krieg an der Ostfront verwickelt. Im Namen von „Langemarck“ wurden Kriegsverbrechen begangen.

Langemarck-Straßen

Bereits in der Weimarer Republik waren zahlreiche Langemarckstraßen entstanden. Nach 1933 nahm ihre Zahl exponentiell zu, vor allem in den Wohnsiedlungen am Rande der wachsenden Städte. In einigen Fällen, wie zum Beispiel in Bremen, wurden aber auch Hauptverkehrsadern nach Langemarck benannt. Die Nationalsozialisten sorgten dafür, dass Langemarck Teil der Architektur und des Rhythmus des städtischen Lebens wurde. Der Langemarck-Mythos hinterließ seine Spuren auch in Gegenständen des Alltags wie Visitenkarten und Straßenkarten. Die Menschen warteten an Bushaltestellen, die „Langemarckstraße“ hießen, und die Namen dieser Haltestellen wurden in öffentlichen Verkehrsmitteln ausgerufen. Damit war die Absicht verbunden, organische Formen des Gedenkens zu schaffen, die das alltägliche Leben unterschwellig begleiten sollten.

Nach dem Zweiten Weltkrieg

Nach dem Ende des Krieges wurden die meisten Langemarck-Straßen umbenannt. In der Sowjetischen Besatzungszone wurden alle sichtbaren Erinnerungen an Langemarck rasch von den Straßenschildern und aus den offiziellen Adressbüchern entfernt. In den westlichen Besatzungszonen herrschte dagegen große Verwirrung, die noch dadurch vergrößert wurde, dass sich die westlichen Alliierten selbst nicht ganz im Klaren darüber waren, wie sie die Direktive Nr. 30 des Kontrollrats (über die Beseitigung deutscher militärischer und nationalsozialistischer Gedenkstätten) auslegen sollten. Umfasste die Direktive auch Gedenkstätten des Ersten Weltkrieges oder nicht? Die Dortmunder Verwaltung nahm eine strenge Auslegung der Richtlinie vor und setzte sie im Juli 1946 unverzüglich um (als Flandernstraße und die Langemarckstraße umbenannt wurden). Im nahe gelegenen Gelsenkirchen wurde die Langemarckstraße jedoch unerklärlicherweise übersehen. Der Prozentsatz der Langemarckstraßen, die umbenannt wurden, lässt sich nur schwer genau ermitteln. Statistische Angaben liegen nur für Westfalen vor, wo 14 von 16 Straßen, die Langemarck oder Flandern gewidmet waren, zwischen 1945 und 1949 umbenannt wurden.

Langemark und Ieper heute

Heute sind sowohl Langemark als auch Ieper (Ypern) dem Frieden gewidmet. In der Stadt Ieper hält das In Flanders Fields Museum die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg wach. Dieses international renommierte Museum mit mehr als 200.000 Besuchern pro Jahr stellt den Ersten Weltkrieg auf eine integrative und soziokulturelle Weise dar. Persönliche Geschichten stehen im Mittelpunkt des Museumskonzepts, untermauert durch die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse: denn dem Museum ist ein Forschungszentrum angegliedert. Das schreckliche Schicksal, das Ieper im Ersten Weltkrieg ereilte, inspiriert die Stadt außerdem dazu, sich aktiv für den Frieden einzusetzen – mit einer eigens eingerichteten Friedensabteilung. Auch die Gemeinde Langemark-Poelkapelle, zu der das Dorf Langemark gehört, ist in diesem Bereich aktiv. Vier Jahre lang, von 1914 bis 1918, verlief die Frontlinie auf ihrem Gebiet, und heute befindet sich hier der am meisten besuchte und wahrscheinlich berühmteste deutsche Soldatenfriedhof des Ersten Weltkrieges. Gleich außerhalb des Friedhofs mahnt ein Denkmal zu Frieden und Versöhnung. Es wurde 2016 durch die Zusammenarbeit von 200 Schmieden aus der ganzen Welt geschaffen. Das Dorf ist häufig Schauplatz von Friedensdemonstrationen.

Literatur

Einen Überblick über die Geschichte der Schlachten bei Ypern und des Langemarck-Mythos bieten Mark Connelly und Stefan Goebel, Ypres (Oxford University Press, 2018). Dieselben Autoren erörtern die Nachwirkungen von Langemarck nach 1945 in ihrem Artikel „Forgetting the Great War? The Langemarck Myth between Cultural Oblivion and Critical Memory in (West) Germany, 1945–2014”, Journal of Modern History (2022). Hintergrundinformationen zum Ersten Weltkrieg findet man auf der Website 1914–1918-Online: International Encyclopedia of the First World War. Wer einen Besuch in Westflandern plant, sollte die Website des In Flanders Fields Museum in Ieper besuchen.